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Beitrag vom 01.02.2007
57. Berlinale – vom 8. - 18.02.2007
Tatjana Zilg
Die Filmfestspiele präsentieren sich vielseitiger denn je, mit noch mehr Spielorten. Im Wettbewerb Eröffnungsfilm über das Leben von Edith Piaf. Im Panorama Beziehungskomödie von und mit Julie Delpy
KeineR soll dieses Jahr sagen können, er/sie sei nicht bei der Berlinale gewesen, weil es immer so schwer sei, kurzfristig an Karten zu kommen – drei große Säle im zentral gelegenen, leicht erreichbaren Cubix am Alexanderplatz wurden als neue Spielorte gewonnen.
Das turbulente Geschehen rund um den Potsdamer Platz wird aber sicherlich auch ohne Platzgarantie wieder zum Publikumsmagneten.
Im riesigen Berlinale Palast werden 26 Filme gezeigt, 22 davon konkurrieren um den Goldenen und Silbernen Bären.
„La Môme – La vie en rose“ - Das ist der klangvolle Name des Eröffnungsstreifens. Regisseur Oliver Dahan verfilmte mit Marion Cotillard, Sylvie Testud und Gérard Depardieu in den Hauptrollen das Leben der weltberühmten Chansonsängerin Edith Piaf.
Etwas andere musikalische Töne sind wir von einem Star gewohnt, der hautnah auf dem roten Teppich zu erleben sein wird: Die Rocksängerin Marianne Faithfull spielt in „Irina Palm“ ( Regie: Sam Garbarsk, Belgien/Deutschland/England) eine 50jährige Witwe in finanziellen Schwierigkeiten, die sich in ihrer Verzweiflung auf ein sehr spezielles erotisches Jobangebot einlässt.
Aus Israel wurde „Beaufort“ in den Wettbewerb eingeladen. In seinem dritten Spielfilm beschreibt Joseph Cedar („Campfire“) die Geschichte der letzten Militäreinheit Israels, die vor dem Abzug aus dem Libanon im Süden des Landes stationiert war. Der Regisseur schildert die Ängste und Nöte der Soldaten in der legendären Festung Beaufort.
Vom Staraufgebot von „The Good German“ (Regie: Steven Soderbergh) wird nicht George Clooney auf dem roten Teppich bejubelt werden können, sondern Cate Blanchett, die für die Hauptrolle in „Elizabeth“ (1998) mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde.
Als Abschlussfilm wird François Ozons („8 Frauen“) Wettbewerbs-Beitrag „Angel“ gezeigt. Die französisch-belgisch-britische Ko-Produktion, die komplett in englischer Sprache gedreht wurde, spielt im England des beginnenden 20. Jahrhunderts. Geschildert werden Aufstieg und Fall einer jungen Frau, die aus einfachen Verhältnissen stammt und als Schriftstellerin bis in die höchsten Schichten der Gesellschaft vordringt. In den Hauptrollen sind Romola Garai, Charlotte Rampling sowie Sam Neill zu sehen.
Neben dem Wettbewerb laden wieder die zahlreichen anderen Sektionen der Berlinale zu einer filmischen Reise in die Länder der Welt (natürlich inklusive des eigenen) und zur Begegnung mit bekannten und unbekannten Geschichten, Ereignissen und Überraschenden ein. Ein Fokus vieler Filme ist das Spannungsfeld zwischen Familie, vorgefundenen Lebensbedingungen und politischen Handeln. Aber auch die Welt der Musik wird in allen möglichen Variationen auf die Leinwand gebracht.
Eine positive Überraschung ist, dass bei der diesjährigen Perspektive Deutsches Kino zwei Drittel der ausgewählten Filme von Frauen gemacht wurden. Die Sektion gibt den VertreterInnen der jüngsten Generation des deutschen Filmes einen Raum, ihre Arbeiten einem breiten Publikum zu präsentieren. Das Interesse, alltägliche Konflikte und psychologische Grenzsituationen kinogerecht zu erzählen, steht bei den insgesamt vier Dokumentarfilmen und acht Spielfilmen im Mittelpunkt.
Der Verband der Filmarbeiterinnen e.V. vergibt zum elften Mal den mit 3.000 Euro dotierten sektionsübergreifenden Femina-Film-Preis unter den insgesamt 30 kreativen Frauen aus den Bereichen Kamera, Kostüm, Schnitt und Szenenbild, die an 14 deutschsprachigen Spielfilmen mitgewirkt haben. Die Jury, die die diesjährige Preisträgerin ermitteln wird, setzt sich zusammen aus Sophie Maintigneux (Kamerafrau, Berlin), Katharina Sykora (Professorin an der Hochschule für Bildende Künste, Braunschweig) und Monika Treut (Regisseurin, Hamburg). Nominiert sind u.a. Nicole Fischnaller, Kostüm und Britta Nahler, Schnitt für „Die Fälscher“, Bettina Böhler, Schnitt, Anette Guther und Lotte Sawatzki, Kostüm für „Yella“, Nicole von Graevenitz, Kostüm für „Hotel very welcome“, Daniela Knapp, Kamera und Elke von Sivers, Kostüm für „Was am Ende zählt“.
AVIVA-Berlin hat für Sie einige Filmtipps zusammengestellt:
Perspektive Deutsches Kino
Was am Ende zählt (Regie: Julia von Heinz)
Die 15 jährige Carla (Paula Kalenberg) will ihr Leben verändern: Um dem problembeladenen Alltag zu Hause zu entfliehen, packt sie ihre Sachen und Geld zusammen. Sie möchte nach Lyon und dort Mode studieren. Sie kommt nicht weit. Am Bahnhof wird sie bestohlen. Dennoch tritt sie in eine für sie völlig neue Welt ein. Auf einer Baustelle arbeitet sie illegal mit anderen Jugendlichen an dem Ausbau eines Schiffes zu einem Restaurant. Sie begegnet der gleichaltrigen Lucie (Marie Luise Schramm), die schon lange auf der Straße lebt, nachdem sie von einem Jugendheim zum anderen geschickt wurde. Nur zwei Erwachsene spielen in dem Leben der beiden Mädchen noch eine Rolle: Der zukünftige Restaurant-Chef Rico, der sich mit allen möglichen illegalen Geschäften sein Geld verdient, und der Sozialarbeiter Dietmar, der die Straßenkinder betreut.
Ein sensibel verfilmtes Freundschafts-Melodram, das auch die zarten Anfänge einer gleichgeschlechtlichen Liebe mitverfolgt. Doch zunächst werden Carla und Lucie mit einem ganz anderen Problem konfrontiert.
Hotel Very Welcome (Regie: Sonja Heiss)
Ein Spielfilm mit realen ProtagonistInnen: In vier Episoden werden die Geschichten von Travellern in Asien erzählt. Auf ganz unterschiedliche Art versuchen sie ihr Glück in der Ferne zu finden. In der Ekstase der Fullmoonraves am thailändischen Strand, in den Gruppen-Sessions und am Swimming-Pool eines Meditationscenter, auf einem Ein-Personen-Wüstentrip mit einheimischen Führer in Indien oder in der Einsamkeit eines Stop Over Hotels, das nach einem verpassten Anschlussflug zum Urlaubsort wurde. Niemand wird finden, was er/sie sich zu Hause vom fremden Land erträumt hat, aber letztlich führen die neuen Erfahrungen und Begegnungen doch zu einer neuen Sicht auf sich selbst.
Aschermittwoch (Regie: Ilena Cosmovici)
Einer Polizistin passiert in der Nacht vom Faschingsdienstag zum Aschermittwoch, als sie einen Vergewaltigter stellt, ein fataler menschlicher Aussetzer. Halb unter Schock lässt sich durch das nächtliche Geschehen treiben und begegnet einem jungen Mann, vor dem sie erst flüchten möchte und der sie dann wieder auf magisch-bizarre Art anzieht. Ein Mini-Film Noir mit expressiven, teils surrealistischen Bildern, der nicht nur visuell beeindruckt, sondern auch sehr nachdenklich über die Begegnung zwischen Feminin und Maskulin stimmt.
Zirkus is nich (Regie: Astrid Schult)
Doku über den 8 jährigen Dominik, der mit zwei jüngeren Geschwistern und der allein erziehenden, arbeitslosen Mutter in einer Plattenbausiedlung in Berlin-Hellersdorf lebt. Sehr einfühlsam lässt die junge Regisseurin den Jungen von seinem schwierigen Alltag erzählen und begleitet ihn einige Tage. Es wird deutlich, wie überfordert das Kind mit der Situation ist. Die Mutter leidet unter der Arbeitslosigkeit, sieht keine Perspektive mehr für ihr eigenes Leben und überlässt ihn ständig die Verantwortung für seine 5 jährige Schwester. Allein fahren die beiden Kinder mit der Straßenbahn durch Berlin.
Panorama
Deux jours à Paris (Two Days In Paris, Frankreich/Deutschland)
Paris, die Stadt der Liebe, Flirts, Romanzen. Marion (Julie Delpy), die als Fotografin in New York lebt und arbeitet, möchte ihrem Partner Jack während eines gemeinsamen Europa-Trips ihre Geburtsstadt zeigen. Natürlich muss er auch ihre Eltern und Schwester kennenlernen, die den amerikanischen Innenarchitekt mit ihren exzentrischen Ticks und leicht chaotischen Lebensstil schnell an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringen. Mitten im Kulturschock sieht er auch Marion plötzlich mit ganz andren Augen.
Sehr amüsante Beziehungskomödie mit Julie Delpy in der Hauptrolle und als Regisseurin.
Fay Grim (Regie: Hal Hartley, Deutschland/USA)
Spannender und sehr vielschichtiger Spionagethriller mit einer alleinerziehenden Mutter aus Queens, New York, im Mittelpunkt. Fay Grim (Parker Posey), begibt sich auf die Suche nach ihrem seit sieben Jahren verschollenen Ehemann Henry Fool, nachdem sie vom amerikanischen Geheimdienst erfahren hat, dass er ihr seine Identität als Top-Spion verschwiegen hat. Agent Fulbright behauptet zwar, dass Henry mittlerweile tot sei, aber die Anzeichen dagegen häufen sich. Fay lässt sich mit dem Geheimdienst auf einen Deal ein, indem es um den Transfer von seinen Tagebüchern aus Europa geht. Plötzlich wird sie selbst hineingezogen in das internationale Netz der Geheimdienste und Terror-Organisationen. Mit List, Tücke und einem guten Schuss Naivität trickst sie Verfolger aus, findet Verbündete und entschlüsselt die Rätsel der Vergangenheit und Gegenwart.
The Home Song Stories (Regie: Tony Ayres, Australien)
Berührendes Generationen-Drama über eine chinesische Familie. Die Nachtclubsängerin Rose Hong (Joan Chen) versucht 1964 mit der Heirat eines Australiers ihren beiden Kindern und sich selbst ein neues zu Hause zu geben. Aber sie kennt den Mann kaum. Als sie zu ihm und seiner Mutter nach Victoria/Australien zieht, ist der Konflikt vorprogrammiert. Sie trennt sich, lebt als Illegale in Sydney, arbeitet als Spülerin. Ihre Tochter und ihr Sohn sind hin- und hergerissen zwischen den Wünschen, die Mutter zu unterstützen oder ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Lady Chatterley (Regie: Pascale Ferran, Frankreich/Belgien)
1917. Die 23jährige Constance Reid (Marina Hands) heiratet den reichen Lord Clifford Chatterley. Nach den Flitterwochen muss er sofort als Leutnant an die Front, von der er als Kriegsversehrter im Rollstuhl zurückkehrt. Drei Jahre später lebt das Ehepaar in einem riesigen Landhaus in der Nähe einer Kohlemine im Besitz der Chatterleys. Die junge Frau fühlt sich seelisch eingeengt und kämpft gegen eine melancholische Depression. Als Ehefrau eines vermögenden Lords ist ihr der Alltag auf dem Land vorgegeben und in konventionelle Grenzen gesetzt. Sie flüchtet sich in eine leidenschaftliche Affäre mit dem Forstwart Parkin. Anfangs sind die beiden sehr unterschiedlichen Menschen noch körperlich sehr stürmisch, in der Kommunikation aber eher scheu. Doch dann lösen sich die Klassenunterschiede allmählich auf und sie entdecken sich beide langsam in all ihren Facetten.
Fast dreistündiges Melodram mit einigen impressionistisch verfilmten, zart-erotischen Szenen.
Tamara (Regie: Peter Kahane, Deutschland)
Die Doku über die Biografie von Tamara Danz. Der Star war die ostdeutsche Antwort auf Janis Joplin, Tina Turner oder Patty Smith. Der Regisseur erzählt mit dem Film ein wesentliches Stück DDR-Rockgeschichte und auch über den berührenden Umgang mit der tödlichen Erkrankung der Sängerin Tamara Danz.
Blindsight (England)
Die Dokumentarfilmerin Lucy Walker begleitete sechs tibetanische Teenager auf die Besteigung des 23.000 Fuß hohen Lhakpa Ri auf der Nordseite vom Mount Everest. Die gefährliche Reise wird zu einer fast unmöglichen Herausforderung aufgrund der Tatsache, dass die Teenager blind sind. Von ihren Familien verbannt leben sie in der einzigen Blindenschule in Tibet.
Forum
Potosi, le temps du voyage (Potosi, the Journey, Israel/Frankreich)
Der Dokumentarfilmer Ron Havilio aus Tel Aviv und seine Frau Jacqueline behielten nach ihrer Hochzeitsreise, die sie 1970 durch die Anden führte, besonders die Stadt Potosi in Erinnerung - die Menschen, die karge Landschaft und die ungewöhnliche Höhe (4100 Meter über dem Meeresspiegel). Die sozialen Probleme in Bolivien berührten sie sehr und nach 29 Jahren kehrten sie mit ihren drei Töchtern zurück nach Südamerika und Potosi, um dort zu filmen. Es entstand ein sehr persönlicher Road Movie, der nicht nur detailliert und bildreich die Kultur, die Sozialstruktur und wirtschaftliche Situation wiedergibt, sondern auch die eigenen familiären Beziehungen und Vergangenheit reflektiert.
Prater (Österreich/Deutschland)
Ulrike Öttinger, der Ausnahmeregisseurin mit der außergewöhnlich vielseitigen künstlerischen Vita, gelang eine farbenprächtige und sorgfältig recherchierte Collage über den weltberühmten Vergnügungspark in Wien. Sie taucht ein in die Vergangenheit, erzählt vom Ashanti-Dorf um die Jahrhundertwende, porträtiert SchaustellerInnen, Zur-Schau-Gestellte und Restaurant-PächterInnen. Viel hat sich verändert, die Technik der Gegenwart ist mehr auf Tempo, Risiko und Overthrill angelegt. Aber in Prater hat jedes seinen Platz: Malerische Geisterbahnen, verspielte Kinderkarussells genauso wie ein Bungee-Raumschiff.
Verziert mit einigen fiktiven Szenen wird der Film zum Genuss für alle Sinne.
L´Esprit des lieux (The Spirit Of Places, Kanada)
Dans Les Villes (In the Cities, Kanada)
Catherine Martin zeigt eine Doku und einem fiktiven Episodenfilm über Quebec und seine Metropole Montréal.
Auf den Spuren des Fotografen Gabor Szilasi bereist sie ländliche Regionen und erforscht die lebendigen Erinnerungen der Einheimischen.
Im Spielfilm lässt sie vier Menschen verschiedener Generationen sich begegnen und wieder verlieren. Nur der naturverbundenen Fanny (Hélène Florent) und dem blinden Fotograf Jean-Luc gelingt es, ihre Beziehung dauerhaft werden zu lassen.
Pas Douce (A Parting Shot, Frankreich/Schweiz)
Die Regisseurin Jeanne Waltz erzählt in sehr eindringlicher Art die Geschichte von der Begegnung der jungen Krankenschwester Fred (Isild Le Besco) und dem aggressiven Jugendlichen Marco, der wegen einer Schusswunde auf ihrer Station behandelt werden muss. Er weiß nicht, dass Fred es war, die ihn im Wald – unvorsichtig, aber unbeabsichtigt – angeschossen hat. Zunächst drückt sie sich vor der Verantwortung, doch langsam entdeckt sie Ähnlichkeiten zwischen sich und dem Jungen.
Die Retrospektive "City Girls. Frauenbilder im Stummfilm" reflektiert die cinemastische Darstellung des veränderten Frauenbildes, dass im Zuge der politischen Umwälzungen und gesellschaftlichen Veränderungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand. Unter den thematischen Überschriften "Working Girls", "Flaming Youth", "Husbands and Wives" und "Fate and Passion" werden insgesamt dreißig Stummfilmprogramme gezeigt.
Viele andere Filme und detaillierte Programm-Informationen finden Sie auf der Berlinale – Website:
www.berlinale.de.